Berlin, 24.06.2021. VKU-Chef Ingbert Liebing zur heutigen 2. und 3. Lesung des Bundestages zur Klimaschutz-Novelle
„Auf ambitionierte Klima-Ziele sollen nun erste Maßnahmen folgen: Mit dem legislativen Energie-Paket zeigen die Regierungsfraktionen im Bundestag Kampfgeist bis in die Nachspielzeit. Doch der Finaleinzug für Klimaschutz und Energiewende ist noch nicht geschafft. Ohne klare, verlässliche und belastbare politische Rahmenbedingungen droht Investitionszurückhaltung - quasi das Achtelfinal-Aus beim Klimaschutz. Um den Weg zu klimaneutralen Kommunen frei zu machen und Investitionen in Klimaschutz vor Ort anzukurbeln, müssen wir den Blick auf die nächsten Runden richten: Gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode sollte die kommende Bundesregierung auf ein frühes Tor spielen: Wir brauchen binnen der ersten 100 Tage unter anderem ein Erneuerbare-Energien-Programm mit angepassten, langfristig angelegten Ausbaupfaden“, so VKU-Chef Ingbert Liebing.
Kampfgeist in der Nachspielzeit
Liebing weiter: „Auf den letzten Metern haben die Abgeordneten durchaus Verbesserungen erzielt, konkret indem sie die Ausschreibungsmengen für erneuerbare Energie-Anlagen kurzfristig und maßvoll weiter erhöhen und die Voraussetzungen für Re-Powering verbessern. So wird die Modernisierung alter Windenergieanlagen erleichtert, und sie können mehr Leistung für die Energiewende bringen. Außerdem stärken die neuen Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen an PV-Anlagen die Akzeptanz für die Energiewende. Hinzu kommt die Ausweitung des Prinzips „Nutzen statt Abregeln“ für Windräder und PV, damit bei einem Überangebot von Wind und Sonne diese Energie nicht verpufft. Weitere Änderungen verbessern die Wirtschaftlichkeit effizienter Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, gewährleisten die die klimafreundliche Verstromung von Grubengas und sichern den Rollout von Smart Metern ab, damit das Stromnetz intelligent steuerbar wird.“
„Besonders wichtig für die Energiewende,“ so Liebing, „ist darüber hinaus, wie wir Wärme für Industrie und Gebäude klimaneutral bereitstellen. Die Kommunalwirtschaft setzt da auf beherzten Pragmatismus, indem Gas heute und Wasserstoff morgen gemeinsam gedacht und reguliert werden. Nachdem die Bundesregierung bei diesem Thema bislang gemauert hat, spielen die Abgeordneten den Ball nun immerhin frei. Mit einer entsprechenden Zielsetzung im Energiewirtschaftsgesetz erhält die nächste Regierung den klaren Auftrag, den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft möglichst breit und unter kommunaler Beteiligung anzulegen.“
Spielentscheidendes Tor fehlt
Für Liebing werden jedoch „einige Bälle, die spielentscheidend gewesen wären, nicht verwandelt: Der gordische Knoten beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei Verkehrs- und Wärmewende werden nicht zerschlagen. Auch verweigert man den Netzbetreibern die notwendige Flexibilität, um bei massiver Nachfrage nach Ladestationen und anderen neuen Verbrauchseinrichtungen (bspw. Wärmepumpen) netzstabilisierend einzugreifen zu können. Mit den Klimaschutzverträgen soll zwar ein spannendes Instrument etabliert werden, um Zukunftsinvestitionen im Betrieb bis zur Marktreife abzusichern. Das Problem ist aber: Es soll nur der Grundstoffindustrie zugutekommen. Gerade für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft mit ihren vielen dezentralen Projektideen wäre das ebenso wichtig. Überhaupt fehlen ausreichende Anreize sowie Planungs- und Investitionssicherheit: etwa für die Umrüstung fossiler KWK-Anlagen, den massiven Ausbau der Wärmenetze und für das Upgrade der bestehenden Gasnetze für die Einleitung von Wasserstoff“.
Matchplan für die entscheidenden Runden
VKU-Chef Liebing: „Richtig ist: Klimaschutz und Energiewende schafft man nicht in der Nachspielzeit. Beides verlangt Turniergeist. Die Erreichung ambitionierter Klimaziele ist ein Mehr-Generationenprojekt, auch auf der Umsetzungsseite. Deshalb muss Politik endlich und von vornherein größer und langfristig denken. Ambitionierte Ziele lassen nicht erreichen, wenn man Mehr-Belastungen für Energieverbraucher stets vermeiden und die notwendigen Investitionen allein aus dem laufenden Betrieb finanzieren will. Die Energiewende braucht stattdessen ein Umdenken bei Marktdesign und Finanzierung, zumal schnell und flexibel regelbare Kraftwerke immer weniger Geld verdienen, aber mit Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Kohle- und Atomausstieg umso notwendiger werden. Einer neuen Bundesregierung stünde es daher gut an, als Signal für ein gutes Energiewende-Turnier von vornherein mit einem 100-Tage-Programm richtig Tempo zu machen.“
Dazu müssten gehören:
- ein viel höherer Ausbaupfad für erneuerbare Energien
- eine Energieeffizienz-Offensive mit deutlich aufgestockten Investitionsprogrammen (Bundesförderung effiziente Gebäude und Bundesförderung effiziente Wärmenetze),
- eine Betriebskostenförderung für innovative Energieprojekte (kommunale Klimaschutzverträge),
- die Abschaffung der EEG-Umlage spätestens ab 2023 sowie parallele und schrittweise Erhöhung des CO2-Preises,
- ein Kraftwerksmodernisierungsprogramm, um moderne, aber noch nicht klimaneutrale Kapazitäten zu erhalten und
- ein verbindlicher Fahrplan für notwendige Regelungen zu erweiterten Reservekapazitäten im Erzeugungs- und im Netzbereich, zur einheitlichen Gasnetz-Regulierung und Erweiterung des grünen Gasbegriffs und zu einer umfassenden Reform des Entgelt- und Umlagesystems.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) vertritt über 1.500 Stadtwerke und kommunalwirtschaftliche Unternehmen in den Bereichen Energie, Wasser/Abwasser, Abfallwirtschaft sowie Telekommunikation. Mit mehr als 275.000 Beschäftigten wurden 2018 Umsatzerlöse von rund 119 Milliarden Euro erwirtschaftet und mehr als 12 Milliarden Euro investiert. Im Endkundensegment haben die VKU-Mitgliedsunternehmen große Marktanteile in zentralen Ver- und Entsorgungsbereichen: Strom 62 Prozent, Erdgas 67 Prozent, Trinkwasser 90 Prozent, Wärme 74 Prozent, Abwasser 44 Prozent. Sie entsorgen jeden Tag 31.500 Tonnen Abfall und tragen durch getrennte Sammlung entscheidend dazu bei, dass Deutschland mit 67 Prozent die höchste Recyclingquote in der Europäischen Union hat. Immer mehr kommunale Unternehmen engagieren sich im Breitbandausbau. 190 Unternehmen investieren pro Jahr über 450 Mio. EUR. Sie steigern jährlich ihre Investitionen um rund 30 Prozent. Beim Breitbandausbau setzen 93 Prozent der Unternehmen auf Glasfaser bis mindestens ins Gebäude.