VKU-Präsident Ebling zum „Fit for 55“-Paket: "Eine historische Aufgabe: Die EU muss Leitplanken für den Klimaschutz und die Energiewende setzen"
Berlin / Brüssel, 13.07.2021. Die EU hat sich mit ihrem Paket "Fit for 55" vorgenommen, ihre Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Morgen wird die EU-Kommission ein entsprechendes Maßnahmenbündel vorstellen.
Dazu VKU-Präsident Michael Ebling:
„Der Klimawandel ist allgegenwertig, seine Eindämmung unserer aller Aufgabe. EU-Klimagesetz und nun das „Fit for 55“-Paket müssen jetzt klare Leitplanken für diese epochale Herausforderung setzen. Die Europäische Union steht vor einer historischen Aufgabe - in einer Reihe mit den Römischen Verträgen, der einheitlichen Europäischen Akte und der EU-Osterweiterung. Wir erwarten daher, dass die Europäische Kommission ein gutes Programm vorlegt, um die aus der Balance geratene Klimaanlage unserer Erde zu reparieren, sie bestenfalls besser und effizienter zu machen.
Die Kommission hat sich dafür zu Recht sehr ambitionierte Ziele gesetzt, die wir mit den richtigen Instrumenten tatsächlich erreichen können. Die bislang bekannt gewordenen Entwürfe zeigen eine von Konsequenz und Machbarkeit geprägte Handschrift. Zu Recht soll auf einen Instrumenten-Mix als Fundament für das Programm gesetzt werden.
Dazu zählen insbesondere die Stärkung des EU-Emissionshandelssystems und die Einführung einer CO2-Bepreisung für den Gebäude- und Verkehrssektor, der massive Ausbau der erneuerbaren Energien, der Vorrang für eine systemisch gedachte Energieeffizienz und die konsequente Förderung klimaneutraler Mobilität für alle Menschen in Europa.
Natürlich wird man im weiteren Gesetzgebungsverfahren an der ein oder anderen Stelle die Vorschläge der Kommission nachjustieren müssen. So werden wir darauf zu achten haben, dass bestehende nationale Klimaschutzinstrumente integriert und notwendige Flexibilitäten in den Systemen erhalten bleiben.
Und es muss klar sein: Es gibt keinen Klimaschutz ohne Anstrengungen. Die Energiewende birgt am Ende große ökonomische Chancen, verlangt aber auf dem Weg dorthin auch erhebliche Umstellungen, die wir in Europa solidarisch bewältigen müssen. Wir brauchen ein sehr ambitioniertes Gesetzespaket, das einem sorgfältig austarierten europäischen Energiesystem den geeigneten Rahmen gibt. Die Kommunalwirtschaft in Deutschland ist bereit, daran engagiert vor Ort und in Europa mitzuarbeiten.“
Höhere Klimaziele: Vorfahrt für den Emissionshandel
Klimaschutz und Energiewende müssen dort ansetzen, wo CO2-Emissionen durch erneuerbare Energieträger und Technologien verringert werden können. Aus Sicht der kommunalen Unternehmen ist der Emissionshandel dafür ein zentrales Instrument. Hierbei wird die weitere Verknappung von Zertifikaten die notwendige Lenkungswirkung erhöhen, um erfolgreich auf CO2-arme beziehungsweise -freie Technologien umzustellen. Die Kombination aus einmaliger Absenkung der Obergrenze und fortan höherer jährlicher Kürzung (Linearer Reduktionsfaktor) sind wesentliche Schritte, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen.
Aber: Klimaneutralität erreichen wir nur dann, wenn der Preis für CO2-Emissionen, die bei der Verbrennung im Verkehr und in Gebäuden entstehen, auf diese Bereiche ausgedehnt wird. Deswegen hält es der VKU für zwingend, einen separaten EU-weiten Emissionshandel für den Wärme- und Verkehrssektor einzuführen. B
ei der Umsetzung dieser Maßnahmen muss darauf geachtet werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Umstellung auf Klimaneutralität unterstützt werden. Die Anpassung ist sozial verträglich auszugestalten. Einkommensschwache Haushalte dürfen nicht überproportional belastet werden. Klimaziele und Energiewende stehen und fallen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien.
Klimaziele und Energiewende stehen und fallen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien.
Deshalb braucht Europa einen verlässlichen und tragfähigen Investitionsrahmen, der nicht durch Planungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst wird.
Zudem: Um Klimaschutzpotenziale von treibhausgasneutralen Energien nicht zu verschenken, sollten Biomasse und Biogas aus Abfällen und Abwasser sowie daraus erzeugter Strom, Wärme und Wasserstoff einen höheren Stellenwert (in der überarbeiteten RED II) erhalten.
Energieeffizienz: Mit weniger Einsatz das gleiche Ziel erreichen
Energieeffizienz ist in den letzten Jahren ein oft unterschätzter Faktor für den Klimaschutz gewesen. Effizient ist, wer mit so wenig Energieeinsatz wie möglich das vorgegebene Ziel erreicht.
Insgesamt braucht es aus unserer Sicht ausgewogene Wettbewerbsbedingungen, um Energieeffizienz auch weiterhin mit einem marktgetriebenen Ansatz voranzubringen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen das bestmögliche Angebot erhalten, indem sie die Wahlmöglichkeit für das individuell optimale Energiedienstleistungsangebot haben. Einsparverpflichtungen sind dagegen aus Sicht der kommunalen Unternehmen das falsche Instrument.
Das sogenannte Prinzip “Efficiency First” muss zukünftig bei Planungen und Investitionsentscheidungen weiter an Bedeutung gewinnen.
Weil es sehr kapitalintensiv ist, den Gebäudebestand klimaneutral zu machen, muss der Transformationsprozess zudem sozial ausgewogen passieren und Maßnahmen müssen auch realisierbar sein. Gleichzeitiges Fordern und Fördern dürfen keinen Widerspruch darstellen.
Wärmenetze um- und ausbauen
Der Gebäudesektor ist eine gewaltige Baustelle beim Klimaschutz. Die wichtigste Maßnahme – neben der Gebäudesanierung selbst - ist die Versorgung mit klimaneutraler Wärme aus erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme, beispielsweise aus thermischen Abfallbehandlungsanlagen, Kläranlagen oder Industrieprozessen.
Das gilt besonders für Bestandsgebäude in Innenstädten, die nicht mal eben auf Passivhausstandard saniert werden können. Weil sich Energiequellen und Infrastrukturen von Ort zu Ort ebenso wie die Nachfrage unterscheiden, brauchen wir einen Lösungsraum, der verschiedene Pfade bei der Transformation zulässt. Maßgeschneiderte Versorgungslösungen in Kommunen und für Quartiere müssen gestärkt werden, was aber nicht ohne angemessene Förderung geht, weil die Erzeugung klimaneutraler Wärme noch auf absehbare Zeit teurer sein wird als fossil erzeugte Wärme. Nur so haben wir eine langfristige Planungs- und Investitionssicherheit für den notwendigen Aus- und Umbau der Wärmenetze.
Ladeinfrastruktur: Spielräume ermöglichen
Künftig werden wir uns vor allem elektrisch von A nach B bewegen: Dabei ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität eine Herausforderung für Mobilitätsanbieter, Kommunen und kommunale Unternehmen, die schon heute für eine Grundversorgung an Ladeinfrastruktur sorgen, ohne dass es sich wirtschaftlich rechnet.
Mit der Revision der Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFI-Richtlinie) möchte die Europäische Kommission europaweit die Voraussetzungen dafür schaffen, die Elektromobilität zu einem Erfolg zu machen.
Aus Sicht der kommunalen Unternehmen wichtig: Das europäische Recht muss Spielräume ermöglichen. Mit Blick auf Planbarkeit und Verlässlichkeit brauchen wir keine abrupten Umbrüche, die die bisher erzielten Erfolge und den weiteren Ausbau gefährden könnten. Die Regelung sollte daher weiterhin unbedingt als eine Richtlinie Rahmenbedingungen schaffen, die die wettbewerbliche Entwicklung von kundenfreundlichen Betriebs- und Geschäftsmodellen ankurbelt und Investorenpotenziale hebt. Eine Richtlinie bietet den Mitgliedstaaten die notwendige Flexibilität, um die gewünschten Maßnahmen den örtlichen Verhältnissen entsprechend umzusetzen.
Die verlässliche, flächendeckende Grundversorgung muss auch künftig gefördert werden. Sie ist Voraussetzung für den Durchbruch der Elektromobilität.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) vertritt über 1.500 Stadtwerke und kommunalwirtschaftliche Unternehmen in den Bereichen Energie, Wasser/Abwasser, Abfallwirtschaft sowie Telekommunikation. Mit mehr als 275.000 Beschäftigten wurden 2018 Umsatzerlöse von rund 119 Milliarden Euro erwirtschaftet und mehr als 12 Milliarden Euro investiert. Im Endkundensegment haben die VKU-Mitgliedsunternehmen große Marktanteile in zentralen Ver- und Entsorgungsbereichen: Strom 62 Prozent, Erdgas 67 Prozent, Trinkwasser 90 Prozent, Wärme 74 Prozent, Abwasser 44 Prozent. Sie entsorgen jeden Tag 31.500 Tonnen Abfall und tragen durch getrennte Sammlung entscheidend dazu bei, dass Deutschland mit 67 Prozent die höchste Recyclingquote in der Europäischen Union hat. Immer mehr kommunale Unternehmen engagieren sich im Breitbandausbau. 190 Unternehmen investieren pro Jahr über 450 Mio. EUR. Sie steigern jährlich ihre Investitionen um rund 30 Prozent. Beim Breitbandausbau setzen 93 Prozent der Unternehmen auf Glasfaser bis mindestens ins Gebäude.