Mit der Einführung des Regelarbeitsmarkts (RAM) im November 2020 wurden Regelleistung und Regelarbeit getrennt ausgeschrieben. Seither wurden wiederholt Höchstpreise für Regelarbeit in allen Qualitätsstufen geboten und auch bezuschlagt. Dies hatte dazu geführt, dass an manchen Tagen Ausgleichsenergiepreise in fünfstelliger Höhe resultierten – ohne dass ein netzkritischer Zustand vorlag. Als Grund für die hohen Zuschlagsgebote kommunizierten die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) fehlende freie Gebote. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) reagierte und veranlasste eine Absenkung der Preisobergrenze auf 9.999 €/MWh, die ab 19. Januar 2021 wirksam wurde. Der VKU berichtete (Der Wettbewerb auf dem neuen Regelarbeitsmarkt kommt nicht in Fahrt).
Bald darauf entbrannte ein Rechtstreit, der mittlerweile nach über einem Jahr zugunsten des Klägers (Uniper) entschieden wurde. So hat der BGH über den Eilantrag des Beschwerdeführers entschieden und die von der BNetzA abgesenkte Preisobergrenze am 11. Januar 2022 ausgesetzt. Die deutschen ÜNB setzen die technische Preisobergrenze i. H. v. 99.999,99 €/MWh für alle Regelleistungsmarktausschreibungen daraufhin ab dem 13. Januar 2022 wieder um. Der erste Liefertag mit der fünfstelligen Preisobergrenze für Regelarbeit, mit der der Markt ursprünglich gestartet war, war der 20. Januar 2022. Die ursprünglichen Probleme einer mangelnden Liquidität auf dem RAM bleiben nach wie vor ungelöst. Für Bilanzkreisverantwortliche, die auf Ausgleichsenergie angewiesen sind, drohen somit bei Abruf von Regelenergie auf diesem Preisniveau hohe finanzielle Schäden.
Dieses Problem wird sich mit den in diesem Jahr startenden europäischen Plattformen für Regelenergie MARI (Minutenreserve) und PICASSO (Sekundärreserve) kaum lösen lassen – im Gegenteil. Zeigten sich die deutschen ÜNB anfangs noch skeptisch, ob ein Beitritt Deutschlands zu den im diesem Jahr startenden europäischen Plattformen für Regelenergie MARI (Minutenreserve) und PICASSO (Sekundärreserve) bei mangelndem Wettbewerb überhaupt möglich sei, scheinen ihre Bedenken diesbezüglich mittlerweile verflogen. Sie werden fristgerecht beitreten.
Der ursprüngliche Start von PICASSO Anfang Februar war aufgrund „technischer, marktlicher und regulatorischer Herausforderungen“ bereits verschoben worden. Auch beim neuen Termin im Juli dieses Jahres zögern viele Netzbetreiber aber noch vor einem Beitritt. Sogar eine Mehrheit der ÜNB haben gemäß Art. 62 EB-GL (Electricity Blalancing Guideline) eine Freistellung beantragt und werden nicht fristgerecht beitreten. Im Fall von PICASSO gilt das für alle ÜNB, außer die in Deutschland, Österreich, Schweiz, Belgien und Tschechien.
Infolge des schleppenden Beitritts potenzieller Anbieter von Regelenergie kann in der Übergangsphase eine künstliche Knappheit entstehen. Auch durch den auf den europäischen Plattformen vorgesehenen Preismechanismus sind hohe Ausgleichsenergiepreise wahrscheinlicher geworden. Zwar hatten die ÜNB die Einführung einer niedrigeren Preisgrenze von 15.000 €/MWh auf den europäischen Plattformen für Regelenergie vorgeschlagen und im August 2021 beantragt, um Bilanzkreisverantwortliche vor unkalkulierbaren Risiken zu schützen. In der Begründung formulierten sie bestehende Anreize für strategisches Bieterverhalten bei der Abgabe bei Regelenergiegeboten und die Ausübung von Marktmacht. Die Entscheidung der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden in Europa (ACER) hierzu wird am 26. Februar 2022 erwartet. Angesichts des jüngsten Urteils zu niedrigen Preisgrenzen bleibt abzuwarten, wie lange eine solche Bestand haben wird.