Bei der Energiebeschaffung verfolgen Stadtwerke eine risikoaverse Strategie, die ganz im Sinne der Daseinsvorsorge auf die Versorgungssicherheit für ihre Kunden ausgerichtet ist. So beschaffen Stadtwerke den überwiegenden Teil ihres Bedarfs strukturiert und vorausschauend auf Termin. Dafür nutzen sie mehrheitlich die OTC-Handelsplätze (OTC-Over The Counter). Als Folge der Marktentwicklung und Reduktion russischer Gaslieferungen hat sich die Zahl von Großhandelsanbietern im OTC drastisch reduziert. Derzeit sind maximal noch drei Anbieter aktiv. Häufig erhalten Stadtwerke für Terminkontrakte ihrer strukturierten Beschaffung nur noch ein einzelnes Angebot. Die Menge potenzieller Handelspartner im OTC ist dadurch stark gesunken und Stadtwerken ist eine händlerdiversifizierte und damit risikoarme Beschaffung kaum mehr möglich. Rückmeldungen unserer Unternehmen belegen das: Im Extremfall handeln unsere Mitglieder OTC nur noch mit einem Handelspartner.
Der Terminhandel an der Börse bedingt laufende Sicherheitszahlungen, die das Erfüllungsrisiko der Handelspartner durch die zeitliche Differenz bei Termingeschäften zwischen Vertragsschluss und Erfüllung absichern sollen. Diese Sicherheitszahlungen (initial und variation margins), die sich an der Art des gehandelten Produkts, dem aktuellem Preis und dessen täglichen Marktschwankungen orientieren, sind im Zuge der Energiepreiskrise extrem gestiegen. Einen Teilerfolg konnte der VKU bereits für die Stadtwerke, die an der Börse handeln, erreichen. Sie können Finanzhilfen erhalten, um die gestiegenen Sicherheitsleistungen im Terminhandel zu bedienen. Für das Margining hat die Bundesregierung Mittel über die KfW mit einem Gesamtvolumen von bis zu 100 Mrd. EUR zugesagt.
Die ohnehin angespannte Marktlage für Erdgas und Strom wird sich noch einmal deutlich verschärfen, wenn ein Lieferstopp für russische Gasimporte eintritt. Viele VKU-Mitgliedsunternehmen erwarten in dem Fall bei fortgeltenden Endkundenverträgen existenzielle Risiken. Trotz der mit § 24 Energiesicherungsgesetz (EnSiG) ermöglichten Preisweitergabe kann diese nicht sofort realisiert werden. Die Gründe sind neben der gesetzlichen Wochenfrist bei Letztverbrauchern auch praktische Verzögerungen bei der Bekanntgabe der Preisanpassung, gewährte Zahlungsstundungen oder gerichtliche Überprüfungen der Kostenweitergabe. Darüber hinaus sind bislang Fernwärme- und Stromkunden davon ausgenommen und zusätzliche Belastungen können durch zahlungsunfähige Endkunden eintreten. Der Einschätzung von VKU-Mitgliedsunternehmen zufolge dürfte dies innerhalb weniger Wochen ein Mehrfaches ihres Jahresertrags übersteigen und zur Überschuldung führen. Ohne Gegenmaßnahmen droht eine Insolvenzwelle. Hiervon wiederum wären dann neben privaten Haushalten vor allem auch die am Gasverteilnetz angeschlossenen und von Stadtwerken belieferten mittelständischen Gewerbe- und Industrieunternehmen betroffen.
Die Preisweitergabe nach §24 EnSiG kann daher nur das letzte Mittel der Wahl sein. Extrempreise müssen weiter oben in der Lieferkette abgefangen werden. Für die verbleibenden Risiken fordert der VKU eine Brückenfinanzierung oder im Notfall auch der Gewährung betriebssichernder staatlicher Zuschüsse. Zudem bedarf es der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Energieversorgungsunternehmen, um den betroffenen EVU die Möglichkeit zu geben, rechtzeitig auf die gravierenden Marktveränderungen reagieren zu können.
Der Zugang zu günstiger Liquidität darf nicht wenigen Energiekonzernen vorbehalten bleiben. Auch Stadtwerke sind systemrelevant in ihrer Funktion als verlässliche Grundversorger für Strom und Wärme. Sie müssen gegen Schieflagen geschützt werden, die sich bis hin zu den Gemeindefinanzen fortsetzen können. Ohne Stadtwerke, als oft größte Arbeitgeber vor Ort, ist eine Sicherstellung der örtlichen Daseinsfürsorge nicht realisierbar. Neben Finanzhilfen für den börslichen Energiehandel fordert der VKU ein wirkungsgleiches Instrumentarium für den OTC-Handel, z.B. durch Bürgschaftserklärungen des Bundes, um die gestiegenen Besicherungsanforderungen in OTC-Geschäften abzusichern und dessen Liquidität wiederherzustellen. Andernfalls drohen der Zusammenbruch dieses Marktes und damit für die darin überwiegend aktiven Stadtwerke der Wegfall der Möglichkeit zur strukturierten Beschaffung. Die Konsequenz wären extrem volatile und mutmaßlich noch stärker steigende Endkundenpreise.