Erdgas könnte übergangsweise als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie gelten
EU-Kommission will Nutzung von Erdgas unter strengen Anforderungen als nachhaltig einstufen

Noch in der Silvesternacht übersandte die EU-Kommission ihren Entwurf mit Nachhaltigkeitskriterien für Erdgas und Atomenergie an die EU-Mitgliedsstaaten und die Platform on Sustainable Finance. Aus kommunalwirtschaftlicher Sicht sind die vorgeschlagenen Kriterien extrem anspruchsvoll und im Hinblick auf die Herausforderungen der Energiewende wenig praktikabel.

24.01.22

Im April 2021 hatte die EU-Kommission die ersten Nachhaltigkeitskriterien zur EU-Taxonomie vorgelegt. Der VKU berichtete hierzu ausführlich. Die vorgelegten Kriterien geben vor, unter welchen Bedingungen eine Aktivität einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung leistet. Die politisch besonders umstrittene Frage über die Rolle von Energieerzeugungsaktivitäten im Zusammenhang mit Erdgas und Atomkraft wurde aber kurzfristig ausgelagert. Die EU-Kommission kündigte damals an, dass ergänzende Kriterien zu den entsprechenden Aktivitä-ten bis Ende des Jahres 2021 folgen würden. Der schlussendliche Versand des Entwurfs mit den Kriterien erfolgte in der Silvesternacht 2021.

Mit ihrem Entwurf erkennt die EU-Kommission die Energieerzeugung aus Erdgas unter bestimmten Bedingungen als Übergangsaktivität an. Aus VKU-Sicht ist der Vorstoß der EU-Kommission zur Klassifizierung von Erdgas als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie daher grundsätzlich zu begrüßen. Erdgas wird auf absehbare Zeit eine zentrale Rolle in der stabilen, bezahlbaren und verlässlichen Energieversorgung spielen. Zudem ist es der Schlüssel zur Integration weiterer Erneuerbarer in das Stromnetz. Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurfsrahmen könnte allerdings sowohl zu einem Hemmnis für den notwendigen Ausbau der Wärmenetzsysteme als auch für den benötigten Zubau gesicherter elektrischer Leistung im Kontext von parallelem Kernenergie- und Kohleausstieg in Deutschland werden. Der VKU hat diese Punkte bereits in seiner Stellungnahme zum Kommissionsentwurf adressiert und wird das Thema weiterhin eng begleiten.

VKU-Einschätzung zum Kommissionentwurf

Die vorgeschlagenen Kriterien für eine Einstufung von gasbasierten Kraftwerken und KWK-Anlagen als nachhaltige Wirtschaftsaktivität sind aus Sicht des VKU nach wie vor extrem anspruchsvoll und in Teilen konkretisierungs- und korrekturbedürftig. Selbst unter optimistischen Annahmen sind die von der EU-Kommission angesetzten Emissionsgrenzwert kaum erreichbar. Diese restriktiven Vorgaben müssen deutlich gelockert werden.

Positiv ist, dass der Entwurf nun als alternative Erfüllungsoption die Einhaltung eines kapazitätsbezogenen Emissionsbudgets zulässt. Hierfür hatte auch der VKU entschieden geworben. Nur leider ist die Kommission auf halber Strecke stehen geblieben: Das Budget sollte deutlich erhöht werden sowie gleichermaßen für reine Gaskraftwerke und KWK-Anlagen zur Verfügung stehen. Die über die gesamte Laufzeit gerechneten Emissionsrechte sollten dabei flexibel genutzt werden dürfen. Um Bedenken hinsichtlich vermuteter Lock-in-Effekte auszuschließen, könnte für neue Anlagen zudem eine „H2-Readiness“ vorgesehen werden.

Eine Taxonomiekonformität soll laut Kommissionentwurf zudem nur dann gegeben sein, wenn als kumulativ zu erfüllende Nebenbedingung zeitlich gestaffelte Beimischquoten klimaneutraler Gase erfüllt werden. Aus derzeitiger Sicht ist es allerdings keinesfalls gesichert, dass die vorgegebenen Quoten durch Wasserstoff bzw. biogene oder synthetische Gase gedeckt werden können. Aus Sicht des VKU sollte somit auf diese Vorgabe verzichtet oder sie zumindest von der ausreichenden Verfügbarkeit klimaneutraler Gase zu wettbewerbsfähigen Preisen abhängig gemacht werden.

Des Weiteren sieht die EU-Kommission in ihrem Vorschlag die Vorgabe vor, dass nur Kraftwerke, die Kohleanlagen ersetzen, taxonomiekonform sein können. Unmittelbar mit dem Kohleersatz verbunden sind Emissionsminderungsvorgaben und die Kapazitätsbegrenzung für Neubau und Modernisierung. Aus Sicht des VKU sind diese standort- und kapazitätsbegrenzenden Vorgaben im Hinblick auf die systemischen Herausforderungen der Energiewende nicht praktikabel.

Einschätzungen der Mitgliedstaaten und des Expertengremiums

Die EU-Mitgliedsstaaten und die Platform on Sustainable Finance, das beratende Expertengremium der Kommission, konnten bis 21. Januar Stellung zu dem Entwurf beziehen. Der VKU begrüßt, dass die deutsche Bundesregierung in ihrer Stellungnahme notwendige Änderungen an den vorgeschlagenen Kriterien für Erdgas fordert. Konkret spricht sie sich dafür aus, dass die zu engen Vorgaben für den Bau neuer Gaskraftwerke und KWK-Anlagen, aber auch für die Erweiterung der Fernwärme, der Realität angepasst werden. Aus Sicht der Bundesregierung sollte die Verpflichtung zum Ersatz bestehender Kohlekraftwerke und die damit verbundenen Kapazitätsbegrenzungen sowie die unrealistischen Beimischquoten für Wasserstoff gelockert werden. Sehr wichtig ist das Votum für flexiblere Grenzwerte bei Kraft-Wärme-Kopplung und realistischere Vorgaben für den Umstieg auf Wasserstoff. Ein wesentlicher Mangel in der Stellungnahme ist allerdings der fehlende Verweis auf das insgesamt zu knapp bemessene Emissionsbudget je Anlage. Hier bleibt auch die Bundesregierung leider hinter den praktischen Erfordernissen einer zeitlich begrenzten Übergangsphase zurück.

Bei den übrigen EU-Mitgliedsstaaten bietet sich ein gemischtes Bild: Zahlreiche osteuropäische Mitliedstaaten und allen voran Frankreich begrüßen den Vorschlag der EU-Kommission aufgrund seiner Aufnahme der Atomkraft. Andere EU-Mitgliedsstaaten wie Österreich oder Spanien äußerten in ihren Stellungnahmen Kritik an den vorgeschlagenen Kriterien. Sie sehen weder Erdgas noch Atomenergie als nachhaltig an und sprechen sich daher gegen eine Aufnahme in die EU-Taxonomie aus.

Die Platform on Sustainable Finance kritisiert den Vorschlag der Kommission scharf und weist darauf hin, dass die Taxonomie lediglich die Umweltperformanz und nicht energiepolitische Gesichtspunkte wie Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit berücksichtigen sollte. Aus ihrer Sicht ist der Vorschlag der EU-Kommission nicht mit der Taxonomie-Verordnung und den bereits verabschiedeten Kriterien vereinbar.

Nächste Schritte

Nach Durchsicht der Rückmeldungen will die EU-Kommission noch im Januar die finalen Kriterien für Erdgas und Atomkraft offiziell verabschieden. Daraufhin werden die EU-Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament, wie auch bei den im April vorgelegten Kriterien, vier Monate Zeit haben, um diese zu prüfen und gegebenenfalls Einspruch einzulegen. Die Prüffrist kann um zwei Monate verlängert werden. Erheben EU-Parlament und Ministerrat keinen Einspruch, treten die Kriterien in Kraft.

Schlagworte