Hospitation bei den Abfallwirtschaftsbetrieben Münster (AWM)
Eine Woche in Orange

Einmal hinten auf dem Müllwagen mitfahren. Ich glaube ja, wer nicht zugibt davon zu träumen, lügt. Ich hege diesen Traum seit Kindheitstagen. Und als ich beim VKU angefangen habe, wusste ich, dass dieser Traum in greifbare Nähe rückt. Nun ist er in Erfüllung gegangen. Eine Woche war ich bei den Abfallwirtschaftsbetrieben Münster.

04.03.20

Als mich Patrick Hasenkamp, seines Zeichens Betriebsleiter der Abfallwirtschaftsbetriebe Münster und Vizepräsident des VKU, dann letztes Jahr einlud, mal bei ihm vorbei zu schauen und die AWM kennen zu lernen, habe ich nicht lange gezögert. Mitte Februar war es dann so weit: Eine Woche Orange stand an.

Tag 1: Sabine hat was dagegen

Eine Woche war geplant, vier Tage sollten es werden. Sturmtief Sabine war gerade über Deutschland gefegt und hatte den Bahnverkehr zum Stehen gebracht, weshalb ich erst recht spät in Münster ankam. Bei den AWM war ich an diesem Tag nicht mehr, denn dort waren (fast) alle schon im Feierabend. Wie ich am nächsten Tag lernen sollte, sind sie dafür besonders früh unterwegs.

Tag 1.1: When in Rome...

Mit der Leeze ging es früh morgens los. Das gehört sich in Münster so und war eine Offenbarung; auch in Berlin fahre ich fast jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit. In Münster habe ich ein wenig den Rausch des Überlebenskampfes vermisst, so einfach ist dort Fahrradfahren. Und früh heißt bei den AWM früh: Mein erster Termin zur Anprobe der bekannten orangen Arbeitskleidung war schon um viertel vor sechs. Ein bisschen schläfrig habe ich Schuhe, Latzhose, Fleece-Jacke und Jacke anprobiert und mit Freuden festgestellt, dass alles aus fairer Produktion stammt. Die AWM achten selbstverständlich auf die Rechte der Herstellerinnen und Hersteller ihrer Arbeitskleidung. Nach der Anprobe ging es per Shuttle ins Revier wo dann angepackt wurde: Bio- und Papiertonnen wollten eingesammelt werden. Das größte Erstaunen war dabei nicht die Schwere der Biotonnen - jeder, dem schon mal der Biomüll gerissen ist, weiß dass gerade dieser Abfall wiegt. Es war die Strecke, die an einem Tag zurückgelegt wird. 10 bis 15 Kilometer laufen die Packer (also die Müllmänner, die hinten den Müll einladen) bei jeder Schicht. Da braucht es keinen Fitnesstracker mehr! Aus engsten Seitengassen und tiefen Kellern wurden die Tonnen geholt und schnell machten sich die größten Blasen meines Lebens bemerkbar. Aus hygienischen Gründen hatte es frühmorgens nämlich neue Schuhe gegeben. Dennoch bleibt ein positives Gefühl, denn: Der Kindheitstraum wurde erfüllt, ich stand auf dem "Brett". Als der Wagen voll war, ging es zur Deponie, wo ich - zur großen Erleichterung meiner Füße - auch bleiben würde. Denn es wartete der Deponie-Erlebnispfad. Erst vor kurzem wurde er ausgezeichnet, denn er ist ein exzellenter Lernort für Nachhaltigkeit. Dort lernte ich zunächst australische Gespenstschrecken kennen. Die urigen Zeitgenossen faszinieren die Besucher und eröffnen einen Einstieg in das Thema biologischer Kreislauf über den es dann schnell zum Ressourcen-Kreislauf und zur Kreislaufwirtschaft geht. Am Ende des ersten Tages stand vor allem eins: Respekt vor der Arbeit der Männer und Frauen in Orange. Schwere Tonnen, lange Wege, frühes Aufstehen - es sind die Sachen, die man nicht so einfach sieht, die die Arbeit ausmachen.

Tag 2: Das Maximum rausholen

Der zweite Tag startete mit einem langen Gespräch mit Patrick Hasenkamp. Er stellte mir das internationale Engagement der AWM noch einmal genauer vor. Vieles machen die AWM mit ihrer Heimatkommune Münster zusammen; insbesondere unterstützen sie die Stadt bei Projektpartnerschaften mit ihrem Expertenwissen. Münster ist beispielsweise seit langem mit Monastir verbunden und macht dort Projekte zur Abfallwirtschaft - natürlich tatkräftig von den AWM unterstützt. Später kam noch meine Amtskollegin Nina Dohr zum Gespräch dazu. Sie ist Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik bei der Stadt Münster und berichtete von erneuertem Engagement des Landes NRW in Richtung Ghana. Seit Jahrzehnten sind die westafrikanische Republik und das Bundesland verbunden. Es besteht eine Partnerschaft auf Landesebene ähnlich der bekannten Städtepartnerschaften. Diese soll nun befeuert werden und zwar zusammen mit den Kommunen NRWs. Ein erstes Treffen hat bereits stattgefunden. Man darf auf weitere gespannt sein. Nachmittags ging es nochmals auf die Deponie. Ein paar Gebäude und Anlagen hatte ich schon tags zuvor aus der Ferne gesehen, jetzt folgte die genaue Erkundung. Es ging beim Biomüll los, der erst sortiert und dann in einer Vergärungsanlage behandelt wird. Dort entsteht Gas, das dem betrieblichen Blockheizkraftwerk zugeführt wird - dazu später mehr. Was übrig bleibt, geht in die Kompostierung und wird am Ende zu bester Erde. Für die Qualität in jedem Arbeitsschritt ist die Sortenreine des Bioabfalls entscheidend. Die Plastiktüte im Biomüll sieht man beispielsweise am Ende als kleine Schnipsel in der Erde. Der Müll aus den anderen Tonnen wird getrennt und was recyclebar ist, insbesondere Papier und Wertstoffe, geht zum Recycler. Alles andere landet in der thermischen Verwertung beim Partner der AWM in den Niederlanden. Auf die Halde kommt heute nichts mehr. Der Deponieberg befindet sich im Prozess der Renaturierung. Als wir oben waren, sprangen um uns herum sogar wilde Rehe. Auf der anderen Seite grasten unter einer Solaranlage nicht ganz so wilde Schafe. Unter dem Grünen liegt aber natürlich noch der Müll vergangener Tage und produziert Deponiegas und Sickerwasser. Beides wird aufgefangen. Das Deponiegas geht direkt zum Blockheizkraftwerk, das Sickerwasser in die betriebseigene Kläranlage. Das dort entstehende Klärgas findet seinen Weg jedoch wieder zum Blockheizkraftwerk - dem letzten Glied der Kette. Dort wird über die Verbrennung der verschiedenen Gase aus Deponie, Vergärung und Kläranlage Energie und Wärme gewonnen, womit die gesamte Deponie betrieben werden kann. Das ist übrigens für das Klima die beste Lösung. Denn die aufgefangenen Gase sind hauptsächlich Kohlenwasserstoffe, die deutlich klimaschädlicher sind als das entstehende Kohlendioxid.

Tag 3: Überall sauber

An meinem ersten Tag lernte ich die Müllabfuhr kennen und war beeindruckt, wie viel dort gelaufen wird. Am dritten Tag war ich bei der Stadtreinigung und sehnte mir die Müllabfuhr herbei, denn die Feger fegen am Tag zwischen 20 und 25 Kilometer. Der Job ist sicherlich noch einiges anstrengender als der der Müllwerker und muss natürlich auch bei Wind und Wetter gemacht werden. Erstaunt hat mich, dass man selbst für die kleinen Kehrmaschinen für die Bürgersteige einen LKW-Führerschein braucht. Schuld ist das Gewicht. Wenn die "Kleinen" voll sind, wiegen sie etliche Tonnen. Am Nachmittag ging es zu einer Schulung der anderen Art: Die AWM bietet einen Service an, bei dem ein Mitarbeiter insbesondere zu sozial benachteiligten Personengruppen fährt und zu Mülltrennung schult. An diesem Tag besuchten wir Wohnungslose in Münster und stellten in einer interaktiven und belebten Stunde vor, was wo reingehört. Die Teilnehmer waren sichtlich interessiert und nahmen das Angebot gerne an. Davon profitieren am Ende alle: Der Einzelne muss keine Strafen befürchten, weil die Tonnen falsch befüllt sind, die Stadt wird sauberer, weil die Angebote der AWM genutzt werden und der Abfall wird sortenreiner, wodurch AWM und Umwelt profitieren.

Tag 4: Elektrifizierend

Damit die Flotte am Laufen bleibt, betreiben die AWM eine eigene Werkstatt. Dort werden nicht nur Fahrzeuge der AWM repariert und neue Fachkräfte ausgebildet, es werden auch viele andere Dienstwagen der Stadt Münster repariert. Bevor es für mich allerdings in die Werkstatt ging, gab es eine Tour durch den Fuhrpark. Insbesondere die vielen neuen Elektrofahrzeuge beeindrucken. Zum einen sind alle Personenwagen inzwischen elektrisch, zum anderen kommen immer mehr elektrisch betriebene Kehrmaschinen hinzu. Dabei werden alle E-Fahrzeuge mit eigenem Solarstrom von den Dächern der AWM betrieben, sind also komplett emissionsfrei unterwegs. Mit einem E-Golf ging es für mich nach der Tour durch den Fuhrpark auch los in die Stadt. Zusammen mit zwei Mitarbeitern der AWM schaute ich mir verschiedene zukunftsweisende Lösungen zur Abfallsammlung an. Insbesondere die Unterflurbehälter generieren immer größere Beliebtheit. Nicht nur haben sie ein größeres Fassungsvermögen als die sonst eingesetzten Tonnen und Container, sie sorgen auch für größere Sauberkeit. In einem Studentenwohnheim konnte mit Unterflurbehältern erreicht werden, was zuvor fast für unmöglich gehalten wurde: Es wird zuverlässiger getrennt und es liegt weniger Müll daneben. Zurückgebraust zur AWM wartete noch ein letztes Highlight meiner Hospitation auf mich: der Karnevalswagen der AWM. In diesem Jahr steht er unter dem Motto "Plastik: Bald in aller Munde". Gefahren wird der Wagen übrigens traditionell vom Chef höchstpersönlich. Zu Rosenmontag sitzt Patrick Hasenkamp hinterm Steuer.