Strom- und Gasgrundversorgung
Abwendungsvereinbarung darf Klausel zur Sofortfälligkeit der Gesamtforderung enthalten

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat im ersten Rechtszug die Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale NRW e.V. gegen einen Grundversorger abgewiesen. Danach darf der Grundversorger in seinen Abwendungsvereinbarungen regeln, dass bei nicht fristgemäßer oder vollständiger Ratenzahlung der Gesamtbetrag sofort zur Zahlung fällig wird.

11.11.24

Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 31.10.-2024 (Az.: I-20 UKI 4/24) im ersten Rechtszug die Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale NRW e.V. gegen einen Grundversorger abgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen, weil der Sache rechtsgrundsätzliche Bedeutung zukommt, da viele Energieversorger gleichlautende Formulierungen bzw. Klauseln in ihren Abwendungsvereinbarungen verwendeten.

Die Verbraucherzentrale NRW hatte einen Grundversorger im Dezember 2023 abgemahnt und aufgefordert, eine strafbewährte Unterlassungserklärung abzugeben. Dieser verwendete in seiner Muster-Abwendungsvereinbarung u.a. die Klausel: „Wenn eine Rate nicht fristgerecht und vollständig bei uns eingeht, ist diese Vereinbarung hinfällig und der Gesamtbetrag sofort zur Zahlung fällig.“

Da der Grundversorger wegen dieser Klausel keine Unterlassungserklärung abgeben wollte, hat die Verbraucherzentrale NRW im Juni 2024 eine Unterlassungsklage beim OLG Düsseldorf eingelegt.

Nach der Rechtsansicht der Verbraucherzentrale NRW verstoße die Klausel gegen das Erfordernis einer vorherigen Kündigung nach einem hinreichenden Rückstand gemäß § 498 Abs. 1 BGB (vgl. § 514 BGB). Denn die Abwendungsvereinbarung sei ein unentgeltlicher Zahlungsaufschub im Sinne des § 514 BGB. Hiernach wird die Gesamtforderung erst sofort fällig, wenn die Abwendungsvereinbarung gekündigt wurde. Eine Kündigung sei nur dann zulässig, wenn der Kunde mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise in Verzug ist, bei einer Vertragslaufzeit bis zu drei Jahren mit mindestens 10 % oder bei einer Vertragslaufzeit von mehr als drei Jahren mit mindestens 5 % des Nennbetrags des Darlehens in Verzug ist. Zudem müsse der Grundversorger dem Kunden erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrags mit der Erklärung gesetzt haben, dass er bei Nichtzahlung innerhalb der Frist die gesamte Restschuld verlange (§ 498 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus vertrat die Verbraucherzentrale NRW die Auffassung, die Klausel würde Kunden gemäß § 307 BGB unangemessen benachteiligen.

Das OLG Düsseldorf folgte dieser Auffassung der Verbraucherzentrale NRW e.V. nicht. Auf die Abwendungsvereinbarung finden die Regelungen zur unentgeltlichen Finanzierungshilfe nach §§ 515, 514, 498 Abs. 1 BGB keine Anwendung, weil es sich bei der Abwendungsvereinbarung weder um einen Kreditvertrag noch um einen unentgeltlichen Zahlungsaufschub im Sinne des § 515 BGB handelt.

Ein Kreditvertrag liege nicht vor, weil die Abwendungsvereinbarung unentgeltlich ist und der vorherige Vertrag (Grundversorgungsvertrag) selbst kein Kreditvertrag ist.

Ein unentgeltlicher Zahlungsaufschub im Sinne des § 515 BGB liege auch nicht vor, weil die Abwendungsvereinbarung keine „Anlockwirkung“ hat. Denn mit der Abwendungsvereinbarung wird dem Kunden eine „nachträgliche Zahlungserleichterung“ für bereits bestehende Zahlungen eingeräumt. Durch den Aufschub der Zahlungsverpflichtung wird der Kunde somit nicht „verlockt“, einen Vertrag einzugehen.

Des Weiteren sind die Grundversorger nach § 19 Abs. 5 Strom- und GasGVV dazu verpflichtet, dem Kunden einen Zahlungsaufschub anzubieten. Der Kunde kann entscheiden, ob er die Abwendungsvereinbarung abschließen will.

Dem Kunden steht es auch frei, welche und wie viele Raten er leisten will. Ein Zahlungsaufschub zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass der Unternehmer eine Abweichung von der gesetzlichen Leistungszeit anbietet. Dies sei bei einem Zahlungsaufschub, auf dessen Einräumung der Verbraucher ein Recht hat, gerade nicht der Fall.

Die Regelungen zum unentgeltlichen Zahlungsaufschub (§§ 515, 514 Abs. 1 BGB) finden ferner keine Anwendung, weil keine Kreditwürdigkeitsprüfung (§ 505a BGB) des Kunden vor dem Abschluss einer Abwendungsvereinbarung durchgeführt werden müsse. Dies ist weder vom Verordnungsgeber noch nach dem Sinn und Zweck der §§ 19 Strom- und GasGVV gewollt. Denn gemäß § 19 Abs. 5 Strom- und GasGVV muss der Grundversorger jedem betroffenen Kunden die Abwendungsvereinbarung anbieten und abschließen.

Die angegriffene Klausel ist auch nicht nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. § 19 Abs. 5 Strom- und GasGVV dient lediglich dazu, dem Kunden die Versorgung zu sichern, nicht aber, die Fälligkeit der Verbindlichkeiten des Kunden als solche hinauszuschieben.

Der Entscheidung des OLG Düsseldorf ist zuzustimmen. Würde man nämlich der Auffassung der Verbraucherzentrale NRW folgen, dann müsste der Grundversorger stets u.a. die Kreditwürdigkeit des Kunden prüfen (§ 505a BGB). Eine Kreditwürdigkeitsprüfung würde in den meisten Fällen jedoch dazu führen, dass der Grundversorger mit den betroffenen Kunden keine Abwendungsvereinbarung schließen darf. Der Grundversorger ist aber nach § 19 Abs. 5 Strom- und GasGVV verpflichtet, vor einer Versorgungsunterbrechung, die aufgrund eines Zahlungsrückstandes erfolgen soll, dem Kunden unabhängig von seiner Kreditwürdigkeit eine Abwendungsvereinbarung anzubieten.