Kein klarer Gewinner auf beiden Seiten
Bundesgerichtshof entscheidet im Streit um das Fernwärmenetz in Stuttgart

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 05.12.2023 in einem Rechtsstreit zwischen der Stadt Stuttgart und der EnBW über den weitere Betrieb des Fernwärmenetzes in Stuttgart entschieden. Der BGH hat weder die Rechtspositionen der Stadt noch von EnBW letztendlich bestätigt.

05.12.23

Der BGH hat entschieden, dass die Stadt Stuttgart nach Beendigung des zwischen ihr und EnBW vereinbarten Gestattungsvertrags weder Eigentümerin des Fernwärmenetzes geworden ist, noch von EnBW Übereignung des Netzes verlangen kann. Ebenso wenig steht der Stadt ein Anspruch auf Beseitigung der Netzleitungen zu, da der Gestattungsvertrag keine Endschaftsregelung enthielt.

Umgekehrt hat aber auch EnBW, die das Fernwärmenetz in Zukunft weiterbetreiben möchte, keinen kartellrechtlichen Anspruch auf die erneute Einräumung von Wegenutzungsrechten zum Betrieb des Fernwärmenetzes. Ein Anspruch auf Nutzungsrechtseinräumung nach § 19 GWB kann nur dann in Betracht kommen, wenn die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sämtlichen Interessenten den Bau paralleler Netzinfrastrukturen erlauben. Davon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Es kann der Stadt auch aus kartellrechtlichen Gründen nicht verwehrt werden, im eigenen Interesse und in dem der Allgemeinheit Wegenutzungsrechte zeitlich begrenzt zu vergeben und einen Wettbewerb um das Netz zu organisieren.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Stadt Stuttgart ist Eigentümerin sämtlicher Wegegrundstücke in der Stadt. Die EnBW betreibt das dortige Fernwärmenetz seit dem 15.07.2002. Während der Vertragsdauer baute EnBW das Fernwärmenetz auf insgesamt 218 km aus. Etwa 18 % des Stadtgebietes werden mit 1.100 Mio. kWh Fernwärme für rund 25.000 Haushalte, ca. 1.300 Unternehmen und 300 öffentliche Gebäude versorgt. Die Fernwärmeleitungen befinden sich zum größten Teil in oder auf Grundstücken der Stadt; Anschlussleitungen liegen auf Grundstücken Dritter und weitere Anlagen befinden sich auf Grundstücken der EnBW, die die Fernwärme im Wesentlichen durch drei von ihr betriebene Heizkraftwerke einspeist.

Im Jahr 2011 gab die Stadt das Ende des Konzessionsvertrags bekannt. Im Juli 2012 richtete sie einen ersten Informationsbrief an die interessierten Unternehmen und äußerte die Absicht, die Entscheidung über die Vergabe der Wegenutzungsrechte in einem transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren zu treffen, wobei Ergebnis des Wettbewerbsverfahrens auch eine Rekommunalisierung sein könne. Im Juli 2013 setzte der Gemeinderat der Stadt das Verfahren aus. Sodann beschloss er am 16.02.2016, dass die Stadt das Eigentum am Fernwärmenetz und dessen Betrieb zum frühestmöglichen Zeitpunkt übernehmen solle. Daraufhin forderte die Stadt EnBW auf, das Eigentum an dem Fernwärmenetz auf sie zu übertragen. EnBW lehnte dies ab und setzt die Fernwärmeversorgung zu den bisher geltenden Bedingungen fort. Eine Nachfolgevereinbarung wurde nicht geschlossen.

Das Landgericht (LG) Stuttgart hat die auf Übereignung des Fernwärmenetzes sowie hilfsweise auf Beseitigung gerichtete Klage der Stadt abgewiesen und festgestellt, dass die Stadt verpflichtet ist, EnBW ein Angebot auf Abschluss eines erneuten Gestattungsvertrages zum Betrieb des Fernwärmenetzes für höchstens 20 Jahren zu unterbreiten. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat im März 2020 das Urteil des LG teilweise abgeändert und EnBW verurteilt, den Störungszustand zu beseitigen, der sich durch das Vorhandensein der Fernwärmeversorgungsanlagen in oder auf Grundstücken der Stadt ergibt. Den auf Feststellung des Eigentums der Stadt am Fernwärmenetz und den auf Übereignung des Netzes gerichteten Antrag der Stadt hat das OLG abgewiesen.

Der BGH hat entschieden, dass das OLG die auf Kartellrecht gestützte Klage von EnBW auf langfristige Einräumung von Wegenutzungsrechten zum Weiterbetrieb des Fernwärmenetzes zu Recht abgewiesen hat. Eine dauerhafte Monopolstellung von EnBW muss die Stadt vor allem deshalb nicht akzeptieren, weil EnBW das Fernwärmenetz mit eigenen Ressourcen aufgebaut hat. Diese Investitionen hat EnBW im Rahmen eines zeitlich befristeten Gestattungsvertrags und auf Grundlage von Wegenutzungsrechten vorgenommen, die EnBW von der Stadt eingeräumt wurden. Insoweit ist das von ihr erworbene Eigentum an den Netzleitungen "belastet".

Die Revision der Stadt hat der BGH zurückgewiesen. Er hat die Entscheidung des OLG insoweit bestätigt, als danach die Stadt mit Beendigung des Gestattungsvertrages kein Eigentum an den Netzanlagen erworben hat. Einen automatischen Eigentumsübergang nach Vertragsende sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr erfordere der Eigentumsübergang von Versorgungsleitungen eine Willensentschließung des Eigentümers. Einen solchen Entschluss hat EnBW nicht getroffen.

Ebenso bestätigt hat der BGH die Entscheidung des OLG, wonach die Stadt von EnBW auch nicht die Übereignung der Netzanlagen verlangen kann. Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus einer ergänzenden Auslegung des Gestattungsvertrags. Maßgebend dafür ist, dass die Stadt ein wettbewerbliches Verfahren zur Auswahl des zukünftigen Netzbetreibers in Gang gesetzt, dieses bislang nur ausgesetzt und nicht beendet hat. Da EnBW an diesem Verfahren beteiligt ist, besteht die Möglichkeit, dass in Zukunft nicht die Stadt, sondern weiterhin EnBW oder ein anderes am Auswahlverfahren beteiligtes Unternehmen das Fernwärmenetz betreiben wird. In dieser Situation besteht kein berechtigtes Interesse der Stadt, Eigentümerin des Fernwärmenetzes zu werden.  Auch gesetzliche Vorschriften begründen keinen Anspruch auf Eigentumsverschaffung.

Anders als das OLG hat der BGH jedoch entschieden, dass EnBW auch nicht verpflichtet ist, die im Eigentum von EnBW stehenden Netzleitungen aus den städtischen Wegegrundstücken zu beseitigen. Vielmehr ist die Stadt verpflichtet, diesen Zustand zu dulden. Das ergibt sich aus nachvertraglichen Rücksichtnahmepflichten in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im wettbewerblichen Auswahlverfahren zu beachten ist. Entscheidend ist insoweit wiederum, dass dieses Verfahren noch nicht beendet und damit auch nicht ausgeschlossen ist, dass EnBW in Zukunft weiterhin das Fernwärmenetz betreiben wird. Da die Stadt die Fernwärmeversorgung nicht gefährden will, kann EnBW unter keinen Umständen verpflichtet sein, die Leitungen zu entfernen.