Bundesgerichthof fragt Europäischen Gerichtshof
Ist der Kundenanlagenbegriff europarechtskonform?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage nach der Vereinbarkeit der Auslegung des § 3 Nr. 24a EnWG (Kundenanlage) mit dem EU-Recht vorgelegt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern der EuGH über den konkreten Sachverhalt hinaus verallgemeinerungsfähige Aussagen zur Abgrenzung von Netzen und Kundenanlagen treffen wird.

23.01.23

Im Rahmen der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Jahre 2011 wurde das Gesetz u.a. um den Begriff der Kundenanlage (§ 3 Nr. 24a EnWG) ergänzt. Dies dient der Klarstellung und ermöglicht die Bestimmung, an welchem Punkt das regulierte Netz beginnt und die unregulierte Kundenanlage endet. Die Begriffsbestimmung sei daher von Bedeutung für die Beantwortung der Frage, welche Betreiber welcher Anlagen sich den Regulierungsanforderungen zu stellen haben (vgl. BT-Drs. 17/6072, S. 94). Die Qualifikation von Energieanlagen als Kundenanlage setzt u.a. voraus, dass sie für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutend ist. Im Rahmen der amtlichen Gesetzesbegründung sind einige Kriterien aufgeführt, die für die Bestimmung dieser tatbestandlichen Voraussetzungen herangezogen werden können, wie die Anzahl der angeschlossenen Letztverbraucher, die geografische Ausdehnung oder die Menge der durchgeleiteten Energie. Zudem wird darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung des Vorliegens des unbestimmten Rechtsbegriffes „unbedeutend“ im jeweiligen Einzelfall im Rahmen der durchzuführenden Gesamtschau andere Merkmale zu berücksichtigen sein können, wie z.B. die zwischen dem Betreiber und den angeschlossenen Letztverbrauchern geschlossenen Verträge oder das Vorhandensein einer größeren Anzahl weiterer angeschlossener Kundenanlagen. Der BGH hat im Jahre 2019 eine Grundsatzentscheidung getroffen, wonach eine Energieanlage für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutend ist, wenn sie weder in technischer noch in wirtschaftlicher noch in versorgungsrechtlicher Hinsicht ein Ausmaß erreicht, das Einfluss auf den Versorgungswettbewerb und die durch die Regulierung bestimmte Lage des Netzbetreibers haben kann. Dies scheidet im Regelfall aus, wenn mehrere Hundert Letztverbraucher angeschlossen sind, die Anlage eine Fläche von deutlich über 10.000m² versorgt, die jährliche Menge an durchgeleiteter Energie voraussichtlich 1.000 MWh deutlich übersteigt und mehrere Gebäude angeschlossen sind (vgl. BGH-Beschluss vom 12.11.2019 l Az.: EnVR 65/18).

Dieses nach der nationalen Rechtslage zutreffende Verständnis könnte aber unvereinbar sein mit den Vorgaben der EU-Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. Dies geht aus dem kürzlich veröffentlichten Beschluss des BGH vom 13.12.2022 l Az.: EnVR 83/20 hervor. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze zur Auslegung des § 3 Nr. 24a EnWG handle es sich bei den streitgegenständlichen Energieanlagen zwar um Kundenanlagen. Dies wäre aber mit Art. 2 Nr. 28 und Nr. 29 sowie Art. 30 ff. der EU- Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie unvereinbar, wenn die streitgegenständlichen Anlagen als Bestandteil des Verteilernetzes im Sinn vorgenannter EU-Regelungen zu qualifizieren sind. Angesichts der Größe der hier zu beurteilenden Anlagen und des Umstands, dass die Betreiberin dieser Anlagen den Mietern auch als Stromlieferantin gegenübertritt, könne nicht ohne jeden Zweifel davon ausgegangen werden, dass die Anlagen kein Bestandteil des Verteilernetzes im Sinne der EU- Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie sind. Da der EuGH sich mit einer solchen Frage bisher nicht befasst habe, hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und ihm eine entsprechende Frage vorgelegt. Mit einer Beantwortung der Frage durch den EuGH dürfte möglicherweise erst im kommenden Jahr zu rechnen sein. Da die Frage sich auf den konkret dem BGH-Beschluss zugrundeliegenden Sachverhalt bezieht, muss abgewartet werden, inwiefern die EuGH-Entscheidung verallgemeinerungsfähige Ausführungen enthalten wird.

Der BGH stellt aber zugleich klar, dass auch vor dem Hintergrund der in der EU- Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie enthaltenen Definition von Verteilernetzen unzweifelhaft erscheine, dass vom Vermieter betriebene Hausverteilanlagen im Innenbereich eines Gebäudes unabhängig von dessen Größe keine Verteilernetze darstellen. Das gelte auch für eine im Eigentum einer Wohnungseigentümergemeinschaft stehende Energieanlage zur Abgabe von Energie, durch die 20 Einfamilienhäuser auf einem Grundstück im Rechtssinne versorgt werden.