Wiesbaden, 17.01.2022 „Wer in Krisenzeiten die Schnäppchenjäger belohnen will und sich immer noch für eine ‚Geiz-ist-geil‘-Mentalität stark macht, stellt besonders sozial schwache Bürgerinnen und Bürger schon bald vor existentielle Probleme.“ Mit dieser Aussage bezieht Ralf Schodlok, Vorsitzender der VKU-Landesgruppe Hessen, Stellung in der aktuellen Diskussion um Versorgungssicherheit und Daseinsvorsorge in Deutschland.
Allgemeine Preisentwicklung
Seit Wochen kündigen Energiediscounter ihren Kunden einseitig die Lieferverträge. Einige haben Insolvenz angemeldet. Die Kundinnen und Kunden werden in der Grund- oder Ersatzversorgung vom örtlichen Grundversorger aufgefangen und ohne Unterbrechung zuverlässig weiter versorgt. Das hat jedoch gravierende Folgen für Stadtwerke und kommunale Energieversorger – möglicherweise sogar für ihre Bestandskunden.
„Der Grund für die teils deutlichen Preiserhöhungen, die beim Verbraucher ankommen, sind die extrem gestiegenen Großhandelspreise für Gas und Strom, die Versorger bezahlen müssen“, erläutert Ralf Schodlok. „Die aktuelle Preisrallye auf dem Gas- und Strommarkt hat verschiedene Ursachen. Dazu gehört die weltweit und insbesondere in Ostasien sehr hohe Nachfrage nach Erdgas. Hinzu kommen witterungsbedingte Einflüsse wie längere Kälteperioden im vergangenen Winter. Auch die Strompreise in Deutschland sind hoch. Sie werden derzeit vor allem von den extremen Brennstoffkosten getrieben. Bei beiden kommen die gestiegenen Preise für CO2-Zertifikate hinzu. Preissetzend sind Gaskraftwerke: Je höher der Gaspreis, desto mehr Kohle wird verstromt – und damit werden mehr CO2-Zertifikate gekauft. Mit der Nachfrage steigt der Preis der CO2-Zertifikate. Somit wird der Einsatz fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung zusätzlich teurer. Da derzeit auch vergleichsweise wenig Wind weht, entlastet die Einspeisung erneuerbarer Energien den Strommarkt nicht.“
Darum steigen nach Discounter-Pleiten auch bei Grundversorgern die Preise
„Stadtwerke und kommunale Energieversorger beschaffen Energie maximal konservativ, sicher und vorausschauend“, berichtet Schodlok. „Das heißt, anders als Energiediscounter kaufen sie Energiemengen in Tranchen verteilt schon Jahre im Voraus ein. So gleichen sie Preisausschläge aus. Wenn nun aber über Nacht tausende neue Kundinnen und Kunden aufgefangen werden sollen, müssen Stadtwerke und kommunale Energieversorger kurzfristig zusätzliche Gas- und Strommengen am Markt beschaffen. Und das zu derzeit horrenden Preisen. Das heißt: Selbst wenn Stadtwerke und kommunale Energieversorger bisher Energie genauestens geplant und durchdacht eingekauft haben, können sie sich nun nicht von der allgemeinen Preisentwicklung abkoppeln. Jedes Unternehmen kalkuliert für sich selbst: Einige haben ihre Preise angehoben, was unvermeidlich war. Andere haben gesplittete Grundversorgungstarife für Alt- und Neukunden eingeführt oder bieten Neukunden günstigere Tarife als in der Grundversorgung mit einer längeren Laufzeit an. Wie stark die Preiserhöhung ausfällt, ist vor allem davon abhängig, wie viele Kunden im Verhältnis zur Anzahl der Bestandskunden neu hinzu kommen. Ob es sich um einen großen oder kleinen Versorger handelt, hat keinen entscheidenden Einfluss auf den Preis.“
Kritik an gesplitteten Grundversorgungstarifen
„Die von Verbraucherschutzorganisationen und einigen Politikern vorgetragene Kritik an gesplitteten Grundversorgungstarifen ist kurzsichtig und wendet sich vor allem gegen Kundinnen und Kunden, die eine zuverlässige Energieversorgung vor Ort unterstützen“, sagt Ralf Schodlok. „Niemand stellt das Wettbewerbsprinzip zwischen Energieversorgern in Frage. Es kann aber nicht sein, dass Billigdiscounter mit Tiefpreisen locken, wenn der Markt dies hergibt, aber von heute auf morgen einfach ihre Lieferung einstellen, sobald ihnen der Einkauf zu teuer wird. Wenn Grundversorger hier einspringen müssen, dürfen deren Stammkunden nicht bestraft werden. Denn in der Grundversorgung sind häufig sozial schwache Kunden, die oft mangels Bonität gar kein Angebot von anderen Versorgern erhalten. Dass sie mit höheren Preisen dafür büßen sollen, dass sich Schnäppchenjäger zuvor lediglich an den tiefsten Preisen, nicht aber an der Versorgungssicherheit orientiert haben, kann nicht im Sinne der Grundversorgungsverordnung sein. Wer immer nur kurzfristig auf die höchste Einsparung setzt, bezahlt das mit einem höheren Risiko. Wenn gesplittete Tarife für Bestands- und Neukunden verboten werden, tragen sozial schwache Haushaltskunden das Risiko der Schnäppchenjäger mit. Ihnen diese Last aufzubürden, entspricht nicht unserem Verständnis von sozialer Verantwortung.“
Folgen für Stadtwerke und kommunale Energieversorger
„Aktuell verzeichnen praktisch alle Stadtwerke und kommunalen Energieversorger einen ungewöhnlich großen Kundenzuwachs in der Grund- und Ersatzversorgung, der kaum zu bewältigen ist. In der Regel liegt diese Zahl im dreistelligen Bereich, bei einigen deutlich drüber. Das macht uns Sorgen: Zum einen, weil wir derzeit nicht abschätzen können, wie groß die Welle von gekündigten Lieferverträgen oder Insolvenzen noch wird. Zum anderen hören wir pauschale Vorwürfe, Stadtwerke und kommunale Energieversorger würden die Gunst der Stunde nutzen, um die Grundversorgungstarife über die Maßen hinaus zu erhöhen. Dies ist unfair und eine Beleidigung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtwerke und kommunalen Energieversorger: Sie bearbeiten seit Wochen eine Flut von Anmeldungen in unzähligen Überstunden, teils sogar am Wochenende, und versuchen, die Versorgungssicherheit in Deutschland aufrecht zu erhalten. Sie löffeln die Suppe aus, die fragwürdige Marktakteure der Gesellschaft eingebrockt haben und weiter einbrocken. Aber im Gegensatz zu ihnen lassen sie die Kundinnen und Kunden nicht einfach im Stich, wenn die Beschaffungspreise explodieren und kündigen Lieferverträge einseitig. Sie bleiben als Anbieter am Markt. Sie nehmen ihre Funktion in der Daseinsvorsorge verantwortungsvoll wahr.“
Was Verbraucher jetzt tun können
„Wir können Kunden nur raten: Achten Sie auf die Seriosität. Ein kurzfristig günstiger Preis nützt nichts, wenn der Anbieter unseriös vorgeht und kündigt, sobald es brenzlig wird, oder Pleite geht. Neukunden können jederzeit aus der Grund- bzw. Ersatzversorgung herauswechseln. Auch Stadtwerke und kommunale Energieversorger bieten Neukunden Tarife an, die günstiger als die Grundversorgung sind und eine längere Laufzeit haben. Kein Kunde bleibt auf der Strecke. Das ist unser Verständnis von Daseinsvorsorge. Wir liefern Strom und Wärme – zuverlässig zu jeder Zeit, ohne Wenn und Aber!“
In Hessen sind 158 kommunale Unternehmen im VKU organisiert. Die VKU-Mitgliedsunternehmen in Hessen leisten jährlich Investitionen in Höhe von über einer Milliarde Euro, erwirtschaften einen Umsatz von rund 16 Milliarden Euro und sind wichtiger Arbeitgeber für 25.000 Beschäftigte.
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